Die Multiple Sklerose (MS) ist eine chronische Erkrankung des zentralen Nervensystems, die in Österreich etwa 12 500 Menschen betrifft. In einer internationalen Studie, an der auch die Med Uni Graz beteiligt war, wurde nun der erste genetische Marker gefunden, der mit Krankheitsprogression assoziiert werden konnte. Die überzeugenden Ergebnisse, die kürzlich im renommierten Journal „Nature“ veröffentlicht wurden, stellen einen maßgeblichen Erfolg bei der Erforschung des Fortschreitens der Erkrankung dar, was schlussendlich neue Behandlungsoptionen eröffnen könnte.
Internationale Kooperation
In der Studie „Locus for severity implicates CNS resilience in progression of multiple sclerosis“ wurden insgesamt 22 000 Patient*innen mit MS in Nordamerika, Europa und Australien untersucht. Die Studie wurde in Zusammenarbeit von über 70 Institutionen weltweit erstellt. Mithilfe einer sogenannten genomweiten Assoziationsstudie konnte eine genetische Variante identifiziert werden, die mit einem rascheren Voranschreiten der Erkrankung assoziiert ist. Patient*innen mit dieser genetischen Variante mussten im Schnitt knapp vier Jahre früher auf Gehhilfen zurückgreifen als Patient*innen, die diese genetische Variante nicht aufweisen. MS ist eine sogenannte demyelinisierende Erkrankung. Diese Krankheiten zerstören die Myelinhüllen der Nervenzellen, was üblicherweise dazu führt, dass diese Zellen ihre Aufgabe nicht mehr oder nur schlecht erfüllen können. Durch wiederholte Entzündungen entstehen Schäden im Gewebe von Rückenmark und Gehirn, was – je nach betroffener Region – zu verschiedenen Symptomen führen kann.
Die Nadel im Heuhaufen
Gewisse genetische Risikofaktoren, MS zu entwickeln, waren bereits vorher bekannt, allerdings konnte man sich dadurch nicht erklären, wieso manche Personen mit der Erkrankung nach einer gewissen Krankheitsdauer einen Rollstuhl benötigen, während andere Patient*innen länger vergleichsweise geringe Symptome aufweisen. Zwei internationale Forschungsgruppen, das International Multiple Sclerosis Genetics Consortium (IMSGC) und das MultipleMS Consortium, haben die genetische Information von rund 12 000 Patient*innen untersucht, um schließlich eine genetische Variante zu identifizieren, die den Verlauf von MS beeinflusst. Zwei Gene – genannt DYSF und ZNF638 – sind dabei besonders hervorgestochen. Um das Ergebnis zu überprüfen, wurden daraufhin etwa 10 000 weitere Personen untersucht, bei denen diese Erkenntnisse bestätigt werden konnten.
„Weitere Arbeiten sind erforderlich, um zu erforschen, wie sich diese genetische Variante auf das Nervensystem im Allgemeinen auswirkt. Die Forscher*innen sammeln außerdem derzeit einen noch größeren Satz an DNA-Proben und erwarten sich davon, weitere Varianten zu identifizieren, die mit dem Voranschreiten der Erkrankung assoziiert sind“, erklärt Michael Khalil das weitere Vorgehen.
Neue Wege zur Behandlung
Während es bereits Mittel gibt, um akute Schübe unter Kontrolle zu bringen, ist die Behandlung der langsam fortschreitenden Schädigung des zentralen Nervensystems und der damit einhergehenden Einschränkungen nur bedingt möglich. Der Fund der genetischen Variante könnte einen neuen Pfad zur Behandlung der Erkrankung öffnen.
Steckbrief Michael Khalil:
Michael Khalil ist Neurologe und Neurowissenschafter und leitet an der Universitätsklinik für Neurologie die Neurology Biomarker Research Unit. Seine Arbeitsgruppe beschäftigt sich hauptsächlich mit der Entwicklung und Validierung von Biomarkern für Krankheitsaktivität und ‑progression, verschiedenen Krankheitsphasen bzw. -stadien und dem Ansprechen auf Behandlungen mit besonderem Schwerpunkt auf Multipler Sklerose. Michael Khalil ist Vorsitzender des internationalen Consortium for CSF Biomarker Research (BioMS-eu), Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Liquordiagnostik und Klinische Neurochemie e. V. (DGLN) sowie Mitglied weiterer internationaler Konsortien wie der International CSF Society und des International Multiple Sclerosis Genetics Consortium (IMSGC).