Weihnachten steht für vieles: Zeit mit Familie und Freund*innen verbringen, Kekse, (zu) viel Essen und gerade für Kinder das Wichtigste – das Schenken. Während man 24 Tage wartet und sich der Adventkalender leert, steigt die Spannung vor allem für die Kleinsten ins Unermessliche. Was liegt denn nun tatsächlich unter dem Baum? Bekomme ich alles, was ich mir wünsche? Doch warum beschenken wir uns eigentlich so gern gegenseitig? Wir haben mit Jolana Wagner-Skacel, neu berufene Professorin für Medizinische Psychologie, Psychosomatik und Psychotherapie an der Med Uni Graz, über die Tradition des Schenkens gesprochen.
Geschenke gibt es überall
Menschen schenken gerne: In beinahe allen Kulturkreisen und Zeitaltern findet man Feste und Feierlichkeiten, an denen man eine bestimmte Person oder sich gegenseitig beschenkt. In unseren Breiten sind die „großen“ Schenkevents Weihnachten und der Geburtstag, aber auch zu Ostern dürfen sich manche über größere Geschenke freuen. Doch was steckt hinter dem Ritual des Schenkens? Was macht es so besonders, dass es sich unabhängig von Zeit und Raum in allen Kulturen in der einen oder anderen Weise entwickelt hat?
Die soziale Rolle des Schenkens
Der Mensch ist ein soziales Wesen: Egal, wie intro- oder extrovertiert wir sind, wir brauchen emotionale Bindungen, um unsere psychische (und damit auch physische) Gesundheit aufrechtzuerhalten. „Wir sind von Geburt an auf andere angewiesen. Nähe, Fürsorge und Zuneigung fördern die Entwicklung emotionaler, mentaler und sozialer Fertigkeiten“, erklärt Jolana Wagner-Skacel. Das Schenken als gesellschaftliches Ritual spielt gleich in mehrfacher Hinsicht mit den Regeln und Erwartungen im sozialen Umfeld. Man kann den Akt des Schenkens in drei Teile aufsplitten, in denen verschiedene Aspekte des Verhältnisses zueinander im Fokus stehen.
Das Geschenk in Phasen
Zuerst muss das richtige Geschenk gefunden werden. Man beschäftigt sich mit der Person, erkundet, wo ihre Interessen liegen, welche Entwicklungen sie in letzter Zeit durchlebt hat. Welche gemeinsamen Erlebnisse teilen wir, welche „Insider-Witze“ oder andere interpersonelle Aspekte können in das Geschenk einfließen? So ergibt das Geschenk ein „Bild“ der beschenkten Person und der Beziehung untereinander.
Wenn das passende Geschenk gefunden wurde, geht es ans Schenken selbst. Sowohl als Beschenkte*r als auch als Schenker*in erlebt man hier gemeinsam einen besonderen Augenblick, der im besten Fall das Band zwischen beiden Personen verstärkt oder bestätigt. Dabei geht es gar nicht wirklich darum, dass man sich etwas zurückerwartet: „Der Akt des Schenkens selbst, ohne Anspruch auf Reziprozität, macht das Schenken als Besonderheit des Gebens aus, ohne dafür Gegenleistungen zu erwarten. Statt Optimierung und Steigerungswachstum soll die Kooperation, die Gabe in den Vordergrund treten. Das Geschenk gewinnt an Wert, da es den*die Beschenkte*n in besonderem Maße bewegt“, erklärt Jolana Wagner-Skacel den Prozess des Schenkens.
Die letzte Phase ist die Dankbarkeit. Die*der Beschenkte kann offen zeigen, wie viel ihr*ihm das Geschenk (oder die*der Schenker*in) wert ist, sich in der Beziehung wohlfühlen und gemeinsam diesen schönen Moment erleben. „Grundvoraussetzung ist die Fähigkeit, Danke zu sagen. Um dies zu erleben, braucht es unser gestalterisches Zutun. Wir müssen uns auf diese Grundstimmung aktiv einlassen“, beschreibt Jolana Wagner-Skacel den Wert der Dankbarkeit.
Der Wert des Geschenks
Vor allem zur Weihnachtszeit, wenn die Geschäfte überlaufen sind und der Weihnachtsstress voll zuschlägt, ist es wichtig zu betonen, dass Geschenke keinen materiellen Wert haben müssen. Zeit miteinander zu verbringen, ist für viele Familien bereits das größte Geschenk. Nicht nur der Akt des Schenkens, sondern auch die Art und Weise des Sich-beschenken-Lassens und des Teilhaben-Lassens an den Freuden über das Beschenkt-Werden bedingen das Phänomen des Schenkens.
Steckbrief: Jolana Wagner-Skacel
Jolana Wagner-Skacel wurde 1972 in Tschechien geboren, von wo sie mit ihren Eltern und ihrem Bruder 1981 nach Österreich geflohen ist. Sie studierte und promovierte Medizin in Graz und war bis 2001 als Turnusärztin im Bereich Chirurgie und innere Medizin tätig. 2022 hat sie sich im Fach Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie habilitiert. An der Universitätsklinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie, Med Uni Graz, leitet Jolana Wagner-Skacel die Spezialambulanz für Psychosomatik in der Gastroenterologie und Hepatologie, die Spezialambulanz für Psychokardiologie und fungierte bis zu ihrer Berufung als Professorin als erste Stellvertreterin der Klinischen Abteilung für Medizinische Psychologie, Psychosomatik und Psychotherapie.