Weihnachten/Bernhard Bergmann

Weihnachten: Das Fest des Lichtes und der Gemeinsamkeit

Alle Jahre wieder führt das Weihnachtsfest Familien zusammen und sorgt so für schöne gemeinsame Stunden und Tage– aber auch für Konfliktpotenzial. Obwohl die letzten Weihnachtsfeiertage Pandemie-bedingt durchaus eine andere Atmosphäre hatten und auch das diesjährige Fest vor allem in Anbetracht der Omikron-Variante unter besonderen Vorzeichen steht: Weihnachten ist einfach ein unverzichtbarer Fixpunkt in vielen Familien. Josef Jenewein, Professor für Medizinische Psychologie, Psychosomatik und Psychotherapie an der Med Uni Graz erklärt, wieso Weihnachten für uns alle so wichtig ist – auch ohne religiöse Konnotation.


Tradition und Rituale: Sehnsucht nach Gemeinsamkeit und Zugehörigkeit

Seit jeher haben Menschen Rituale und Bräuche entwickelt, die sie regelmäßig und nach ganz strikten Regeln durchführen und auch an ihre Nachkommen weitergeben. Egal, welche Epoche, Region oder Gesellschaft man betrachtet, gemeinsame Aktivitäten dieser Art findet man praktisch immer. Häufig haben diese Rituale und Bräuche einen religiösen Hintergrund, der gelegentlich aber gar nicht mehr explizit bekannt ist. Denn eine wichtige Bedeutung dieser Rituale und Bräuche ist vielfach das Erleben von Gemeinsamkeit in und Zugehörigkeit zu einer Gruppe, was für uns Menschen als soziale Wesen überlebenswichtig ist. „Gemeinsamkeit stiftet Sinn und Geborgenheit, Zugehörigkeit stiftet Identität. Deshalb sind Rituale, die häufig in Form von Festen stattfinden, mit positiven Gefühlen von Freude und Glück verbunden. Und für das leibliche Wohl ist zumeist mit opulentem Essen und Trinken gesorgt. Grade in unserer modernen, individualisierten und selbstbestimmten Welt scheinen solche Rituale immer wichtiger zu werden“, erklärt Josef Jenewein.


Weihnachten: das Fest des Lichtes und Glanzes

Es gibt nur wenige Anlässe, die mit so vielen Gefühlen und Erinnerungen wie die Weihnachtszeit behaftet sind. Ob das gemeinsame Backen der Weihnachtskekse, der erste Spaziergang im Schnee oder der geheime Blick durch das Schlüsselloch, viele positive Kindheitserinnerungen verbinden wir sofort mit dem Weihnachtsfest.

Ursprünglich ist Weihnachten das Fest des Lichtes und gerade deshalb wird Weihnachten auch in der dunkelsten Jahreszeit gefeiert. Licht bedeutet aber Leben und somit feiern wir zu Weihnachten das Geschenk des Lebens, unseres Daseins und das der anderen. In der gegenwärtigen Bedrohung durch die Pandemie wird uns wieder schmerzlich bewusst, dass das Leben ein Geschenk ist und keine Selbstverständlichkeit. „Das Geschenk des Lebens findet sich auch in religiösen Interpretationen des Weihnachtsfests, z.B. mit der Geburt Christi. Als Ritual gleichsam hat sich das gegenseitige Beschenken etabliert und das Fest des Lichtes und Glanzes spiegelt sich im Strahlen der beschenkten Kinderaugen wider, an das wir uns so gerne erinnern“, fasst Josef Jenewein den emotionalen Aspekt der Weihnachtsfeierlichkeiten zusammen.

Wir dürfen uns aber auch nicht ganz den Illusionen hingeben: Manche Menschen hatten nie das Glück solche Momente zu erleben. Und manchmal stellen sich diese Gefühle nicht ein, weil wir uns in einer belasteten Situation befinden.


Familienkonflikte als unerwünschte Nebenwirkung

Oft werden zwischenmenschliche Belastungen gerade zur Weihnachtszeit unterschätzt, manche Familienmitglieder sehen sich vielleicht das ganze Jahr nicht oder nur sehr sporadisch, kommen aber wenigstens zu Weihnachten „nach Hause“ oder „zusammen“. Die erste Euphorie des Wiedersehens kann rasch verfliegen und alte, ungelöste Konflikte kommen zum Vorschein oder brechen durch. Manchmal herrscht nur ein „weihnachtlicher Waffenstillstand“. Das Zusammensein führt so gelegentlich zum Gegenteil eines gemütlichen Weihnachtsfestes.

Es kann aber auch sein, dass die eine oder der andere merkt, dass er oder sie sich von der ursprünglichen Gruppe der Familie etwas entfremdet hat und sich das bekannte oder erinnerte Zusammengehörigkeitsgefühl nicht mehr einstellt. Das ist völlig in Ordnung, da wir uns ja alle weiterentwickeln und manchmal eben in verschiedene Richtungen. Auch dann können wir gemeinsame Erinnerungen austauschen und Veränderungen anerkennen. Ungelöste Konflikte und Spannungen sollten besser während des Jahres besprochen und nach Lösungen gesucht werden. So kann es gelingen, sich für den ursprünglichen Sinn des Festes, nämlich das Geschenk des Lebens und der Gemeinsamkeit, zu öffnen.


Steckbrief: Josef Jenewein

Josef Jenewein ist Professor für Medizinische Psychologie, Psychosomatik und Psychotherapie an der Med Uni Graz und Vorstand der Universitätsklinik für Medizinische Psychologie und Psychotherapie.

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Josef Jenewein 
Medizinische Universität Graz
Universitätsklinik für Medizinische Psychologie und Psychotherapie